Kunst und Wissenschaft

Wie ein Geschwisterpaar werden Kunst und Wissenschaft oft in einem Atemzug genannt. Sie scheinen unzertrennlich zu sein und stehen vom Wortlaut her gleichwertig nebeneinander. Doch wie verhält es sich wirklich? Welche Wertschätzung hat die Kunst im Inneren des Einzelnen und weiche die Wissenschaft? Ist die Wissenschaft nicht das, welches man als nützlich bezeichnen könnte und die Kunst etwas Unnützes, sozusagen ein Luxusartikel für die Oberschicht? Oder verhält es sich so, das die Kunst doch nur ein Teilgebiet der Wissenschaft ist, also nicht gleichwertig? Wäre es nicht auch möglich, dass die Kunst nur eine Art "Vorwissenschaft" ist, eine diffuse Tätigkeit in der Menschheitsgeschichte, aus der heraus sich etwas Höheres, klar Definiertes, nämlich die Wissenschaft entwickelt hat?

Die Wissenschaft erforscht die Dinge dieser Weit und zerlegt sie in ihre Bestandteile, um aus dem vorher Unbekannten etwas Bekanntes zu machen. Das nennt sie Erkenntnisse gewinnen. Doch erkenne ich das Unbekannte, wenn ich es auf etwas Bekanntes zurückführe? Die Kunst hingegen beschäftigt sich mit dem Bekannten und bringt Unbekanntes hervor, womit sie der Wirklichkeit wesentlich naher kommt. Denn unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist in ihrer Eingeschränktheit gar nicht in der Lage die Ding zu erkennen. Was wir wahrnehmen sind immer nur Ausschnitte, bestimmte Dimensionen des Unendlichen. Hierauf weist die Kunst hin, nämlich auf die Scheinhaftigkeit dessen, was wir Erkenntnis nennen.

Wenn die Wissenschaft behauptet durch ihre Tätigkeit schafft sie etwas Bekanntes - also eine Welterklärung - so tauscht sie uns. Alle wissenschaftlichen Konstruktionen sind Hilfskonstruktionen (1+1=2?), sie geben uns für eine Zeitlang eine Orientierung und Halt im großen Weltchaos, Sie gaukelt uns Sicherheit vor und deshalb benötigen wir die Wissenschaft, denn ohne Sicherheiten könnten wir nicht existieren. Ohne Bezugspunkte hatten wir keinen halt im Undurchschaubaren, wir würden sterben vor Angst. Da wo wir meinen ein System zu erkennen, eine Logik, vermuten wir auch einen Sinn. Dies vermittelt uns die Wissenschaft. Es ist eine Illusion. Die Wissenschaft verhilft uns dazu, uns den Gegebenheiten der Welt anzupassen. Dies ist unsere materielle Lebensgrundlage. Sie bildet sozusagen ein Haus in das wir uns begeben können um Schutz zu finden.

Wird die Anpassung jedoch zum alleinigen Prinzip, werden wir nicht mehr in der Lage sein dieses Haus zu verlassen. Tritt dieser Fall ein, sind wir auch nicht mehr im Stande Veränderungen außerhalb unserer geschaffenen Wissenschaftswelt wahrzunehmen. Die Kunst bietet uns die Möglichkeit das Haus zu verlassen, also das Gewohnte und Bekannte. Sie verhilft uns dazu Distanz zu gewinnen, Kritikfähigkeit zu erhalten und Wiederstand zu ermöglichen. In der Kunst sind wir nicht Opfer von Illusionen, da ihr Prinzip der Schein ist, also die bewusste Täuschung, die Unwahrheit. Somit schafft sie es auf die Wahrheiten hinzuweisen, auf die, die wir nie erfahren werden. Die Kunst zeigt uns das Bekannte als etwas Fremdes. Wenn das Bekannte aber fremd ist, dann gibt es nichts Bekanntes und somit keine Wahrheit für uns Menschen.

Die Wissenschaft hat einen Sinn, denn sie ist notwendig für unsere materielle Existenz. Einen Sinn zu haben bedeutet: Es gibt etwas nachdem ich mich richten muss. Hiermit beinhaltet der Sinn die Unfreiheit, den Zwang, also ist der Sinn die Geißel der Menschheit. Die Freiheit ist beinhaltet im Sinnlosen. Das Sinnlose ist das Prinzip der Welt, des Lebens, der Kunst. Als Sinnlose entspricht die Kunst dem Leben. Als Sinnvolle entspricht die Wissenschaft dem Tod. Das eine bedingt die Existenz des anderen. Die Existenz ist das was ist. Im Paradies gibt es den Sinn nicht für den Menschen. Erst seit des Kostens der Frucht vom Baum der Erkenntnis und das dadurch gewonnene Selbstbewusstsein (Ich bin.), stellt sich die Frage nach dem Sinn (Warum bin ich?). Damit beginnt die Wissenschaft.

Kunst und Wissenschaft sind paradiesischer Herkunft und außerhalb des Paradieses Gegenspieler. Sind sie gleichwertig, erhalten wir Stabilität. Überwiegt die Wissenschaft und wird die Kunst vernichtet, so bedeutet das: Untergang! Wenn wir alle Künstler werden, werden wir paradiesische Zustände erreichen.

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